Inklusion von Kindern muss gestärkt werden.

Spätestens seit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2008 haben Kinder mit Behinderungen ein Recht auf ein Leben wie alle anderen auch. Die gelebte Praxis sieht jedoch anders aus und gefährdet letztlich nachhaltig die gesellschaftliche Entwicklung für alle Menschen.

„Die strukturelle Benachteiligung von Kindern mit Behinderungen ist allgegenwärtig und beginnt bereits vor der Geburt“, so Judith Rafelsberger, die für den Bereich Kind & Familie der Lebenshilfe Tirol zuständig ist. Sobald bei den ersten Untersuchungen eine mögliche Behinderung des Kindes festgestellt wird, ändert sich die Lebenswelt von Eltern. Sie müssen nicht nur die Diagnose vertrauen, sondern  finden sich in einem endlosen Kampf um Akzeptanz, gegen Ausgrenzung und für Gleichbehandlung und Normalität wieder

Schon bei der ersten Untersuchung wird das Kind begutachtet, diagnostiziert, kategorisiert und anders behandelt. „Nicht die Potenziale eines Kindes mit Behinderung oder Entwicklungsverzögerung stehen im Vordergrund, sondern es wird taxativ aufgezählt, was alles nicht geht“, weiß Judith Rafelsberger. „Hier werden bereits die ersten Türen in Richtung Inklusion zugeschlagen. Und so geht es weiter. Tür um Tür.“

„Tagtäglich erleben Eltern und ihr Kind, was es heißt, mit einer Behinderungen zu leben. Das Kind kommt auf die Welt und die Gesellschaft lässt Eltern und ihre Kind spüren: „Es ist nicht gut, dass du da bist. Du bist nicht richtig. Du gehörst nicht dazu“, sagt Georg Willeit, Geschäftsführer der Lebenshilfe Tirol. „Diese Haltung verletzt und zerstört das Selbstwertgefühl der Eltern und des Kindes und erschwert die natürliche Entwicklung eines Kindes nachhaltig“

Dazu kommen handfeste strukturelle Barrieren: So können Kinder mit Behinderungen oft nur dann in den Kindergarten gehen, wenn eine Stützkraft anwesend ist oder die Teilnahme an Ferienaktionen wird ihnen verwehrt, weil der organisatorische Aufwand zu groß wäre. Der Schulwechsel wird zum Spießrutenlauf und nicht selten werden Kinder mit Behinderungen in die Sonderschule abgeschoben, weil die schulische Inklusion seit Jahrzehnten nicht wirklich in die Gänge kommt. So stellt der Tiroler Monitoringausschuss fest, dass im Laufe der Pflichtschulzeit kontinuierlich Kinder und Jugendliche in Sonderschulen wechseln. Vor allem in der 9. Schulstufe steigt ihr Anteil drastisch an (siehe auch Tiroler Aktionsplan Behinderung (TAP)). Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.

„Eltern und ihre Kinder mit Behinderungen werden von der Gesellschaft nicht gestärkt, sondern geschwächt und an den Rand gedrängt. Sie müssen sich rechtfertigen und gegen sichtbare und unsichtbare Widerstände ankämpfen. Das ist diskriminierend und ein klarer Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention und den Gleichheitsgrundsatz der österreichischen Bundesverfassung. Dieser besagt, dass niemand wegen einer Behinderung benachteiligt werden darf”, sagt Willeit und fordert: “Das Schulterzucken bei der Inklusion von Kindern muss ein Ende haben“.

Genau diese defizitorientierte Haltung, der Fokus auf das, was alles nicht geht, erschwert die Inklusion von Kindern mit Behinderungen und schadet uns als Gesellschaft nachhaltig. „Eine inklusive Gesellschaft ist der einzige Weg und letztlich der Garant dafür, dass wir alle barrierefrei, selbstbestimmt und erfüllt zusammenleben können“, so der Geschäftsführer der Lebenshilfe Tirol. „Wenn wir Inklusion von Anfang an mitdenken, Türen und Entwicklungsräume öffnen und jede Form von Barrieren oder Sonderstrukturen gar nicht erst entstehen lassen, werden wir in Zukunft in einer Welt leben, die keine Ausgrenzung kennt und in der jeder Mensch seinen Platz im Leben hat“, so Georg Willeit abschließend.

Forderungen der Lebenshilfe Tirol

  • Umsetzung der UN Behindertenrechtskonvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
  • Kompetenz- und lebensweltorientierte Diagnostik (auf Stärken hin)
  • Ausbau niederschwelliger Beratungsstellen für alle Kinder und deren Familien
  • Von Beginn an! Ausbau inklusiver Krippen und (Ganztags-)Kindergärten
  • Wohnortnahe Betreuungsangebote für Kinder mit Mehrfachbehinderung/Pflegebedarf
  • Ausbau familienunterstützender Angebote (Beratung, Frühförderung, Freizeitassistenz, Familienentlastung, Ferienbegleitung)
  • Auflösung von Sondereinrichtungen
  • Eine Schule für alle! Ausbau inklusiver Ganztags – und Gesamtschulen.
  • Ausbau der persönlichen Assistenz auch für Kinder / Jugendliche mit Behinderungen
  • Mittendrin! Ausbau inklusiver Freizeitangebote
  • Ausbildung und angemessene Bezahlung von Betreuungspersonal
  • Rascher Ausbau und bedarfsgerechte Anpassung der Angebote

Frühfördern.at

Frühfördern.at ist ein Angebot der Lebenshilfe Tirol und begleitet 617 Kinder im Rahmen der Frühförderung & Familienbegleitung (0-6) und 383Freizeitassistenz und Familienentlastung (0-18 Jahre). Insgesamt rund 650 Kinder mit Behinderungen und deren Familien.